REGIONALES KOOPERATIVES RHEUMAZENTRUM HANNOVER e.V. Empfehlungen zur Diagnose und Therapie des Fibromyalgie-Syndroms
Definition: Die Fibromyalgie ist ein nicht entzündliches, weichteilrheumatisches Syndrom unklarer Ätiologie und Pathogenese mit chronischen Schmerzen. Diagnose: Die Druckpunkte liegen bevorzugt an Muskelansätzen, Sehnen und Sehnenansätzen. Über die vom ACR publizierten Punkte hinaus existieren noch eine Vielzahl von weiteren Punkten (Abb 1 und 2). Neben der erniedrigten Druckschmerzschwelle an den typischen Druckpunkten (tender points) besteht auch in anderen Körperbereichen eine vermehrte Druckempfindlichkeit. Diese ist i.d.R. weniger stark ausgeprägt, kann aber auch bei einem Teil der Patienten das Niveau der typischen Druckpunkte erreichen. Weiterhin kann die Diagnose auch gestellt werden, wenn weniger als die o.g. Punkte vorhanden bzw. die Schmerzangaben weniger ausgedehnt sind. Dann müssen aber deutliche funktionelle bzw. vegetative Symptome bestehen (s.u.). Klassifikationskriterien (ACR 1990):
Schmerzen sowohl auf der rechten als auch auf der linken Körperhälfte
Schmerzen sowohl oberhalb als auch unterhalb der Taille
Schmerzen im Bereich der HWS oder BWS oder LWS oder vorderen
Positive Schmerzreaktion an mindestens 11 von 18 Punkten bei einem
Beide Kriterien müssen erfüllt sein. (ACR-Kriterien, Wolfe et al. Arthritis Rheum 1990;33:160-72)
Funktionelle und vegetative Symptome: Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Migräne, gastrointestinale Beschwerden im Sinne eines Colon irritabile, Dysurie, funktionelle Atembeschwerden, Palpitationen, Menstruationsstörungen, kalte Akren, Hyperhidrosis, trockener Mund. Dermographismus, Tremor, orthostatische Probleme, respiratorische Arrhythmie, Morgensteifigkeit, Schwellungen und Schwellungsgefühle, Parästhesien, verminderte Leistungsfähigkeit, Konzentrationsstörung. Psychische Veränderungen: Diese schwanken sehr in Abhängigkeit des Untersuchungsverfahrens. Einige Autoren beschreiben gehäuft neurotische Veränderungen. Andere Untersucher fanden nur bei 1/3 der Patienten psychische Auffälligkeiten. Ein weiteres Drittel zeigte schmerzdependente psychische Veränderungen, z. B. depressive Verstimmung, wie sie auch bei Patienten mit chronischen Schmerzen anderer Ursache bekannt sind. Epidemiologie: Diagnose-/Therapieempf. Empfehlung Fibromyalgie-Syndrom
Prävalenz von 1 - 2 %. Geschlechtsverhältnis Frauen:Männer ca. 7:1 Hauptmanifestationsalter 30. bis 50. Lebensjahr. Differentialdiagnosen: Beginnende chronische Polyarthritis, Polymyalgia rheumatica, Depressionen, Viruserkrankungen, Kollagenosen, Psychogene Syndrome, Hypothyreose, Medikamentenreaktionen, chronisches Müdigkeitssyndrom, lokalisierte weichteilrheumatische Syndrome (myofasciales Syndrom). Synonyma/Nomenklatur: Der im Deutschen häufig verwendete Begriff „Generalisierte Tendomyopathie“ wird fast synonym verwendet. Der wesentliche Unterschied in der Definition zum Fibromyalgie-Syndrom besteht in der Tatsache, daß der ACR bei seiner Definition von dem Begriff Schmerzen in verschiedenen Körperregionen ausging, bei der Generalisierten Tendomyopathie hingegen der Schmerz vom Patienten in der Muskulatur, im Verlauf von Sehnen und Sehnenansätzen angegeben werden muß. Das Konzept mit ausgedehnten Schmerzzuständen in 3 unterschiedlichen Körperregionen über 3 Monate und 12 von 24 Punkte ist sehr ähnlich (Abb. 1). (Müller et al. Z Rheumatol 1990;49:11-21). Der Begriff Fibrositis ist bei fehlender entzündlicher Reaktion heute obsolet. Da a priori der Zusammenhang zwischen einer begleitenden Krankheit nicht festgestellt werden kann, sollten Ausdrücke wie „primär“ und „sekundär“ nur sparsam verwendet werden. Krankheitsverlauf und Prognose: In der Regel entwickelt sich das klassische Krankheitsbild innerhalb von 5 - 10 Jahren aus einem lokalisierten Beschwerdebild. Entgegen früherer Annahmen können die Schmerzzustände bis ins hohe Alter anhalten. Die Operationshäufigkeit ist durchschnittlich 3 mal so hoch wie in der Durchschnittsbevölkerung. Therapie: Allgemeine Maßnahmen: Nach Diagnosesicherung bzw. Ausschluss anderer Erkrankungen sollte der Patient in einem Gespräch über den benignen aber hartnäckigen Charakter der Erkrankung und über die beschränkten Therapiemöglichkeiten aufgeklärt werden. Weiterhin soll der Behandler, sofern eruierbar, individuelle krankheitsverstärkende und -unterhaltende Faktoren herausarbeiten und auszuschalten versuchen. Physikalische Therapie: Anfangs passive, muskellockernde Maßnahmen, Dehnungsübungen, später aktivierende leichte sportliche Aktivitäten, evtl. Ganzkörperkältetherapie. Medikamentöse Maßnahmen: Die Wirksamkeit von trizyklischen Antidepressiva i.v. und peroral z. B. Amitriptylin (Saroten®), oder die Kombination von Maprolitin (Ludiomil®) und Clomipramin (Anafranil®) ist belegt. Ihre analgetischen Effekte sollten aber nicht überschätzt werden. Für NSAR ist die Wirkung nicht belegt. Gelegentlich sprechen aber einzelne Patienten darauf an. Gleiches gilt für Muskelrelaxantien. Bei lokalisierten Beschwerden können auch Injektionen mit Lokalanästhetika helfen. Neuerdings gibt es erste Hinweise, dass auch HT3-Antagonisten z. B. 10 mg Tropisetron (Navoban®), wie sie zur Antiemese bei Chemotherapie verwendet werden, in ca. 35 % gute Effekte zeigen. Diese Präparate sind aber zur Zeit noch in Prüfung und mit erheblichen Kosten verbunden. Psychotherapie: Therapeutische Gespräche, psychologische Schmerztherapie, Schmerzbewältigungstraining (z. B. progressive Muskelentspannung) und Selbsthilfegruppen. Ein Patientenschulungsprogramm wurde erarbeitet. (Brückle et al., Akt. Rheumatol 1995;20:13-19 und 1997; 22: 92-97)). Dr. Lautenschläger, Dr. Brückle, 11/1997
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