Hamburger Therapiestandard Blasenstörung bei MS Version: 29-4-06
Inkontinenz ist keine schicksalhafte Beschwerde bei MS mit der ein Patient leben muß, die Therapiebeürftigkeit hängt aber wesentlich vom Leidendruck der Patienten ab! Therapieziel ist demnach die soziale Kontinenz. Im ersten Jahr der Erkrankung sollten Blasenfunktion und sex. Funktion als Baseline erhoben werden. Es gibt keine Daten, die belegen, dass bei allen Patienten jährliche oder häufigerer Kontrollen Not tun. Dennoch kann eine fortgeschrittene Funktionsstörung dann evtl. nicht mehr ausreichend therapierbar sein. Aber subjektive Beschwerden korrelieren nicht immer mit objektiven Befunden.
Jeder Patient mit rezidivierenden Harnwegsinfekten bei einer Blasenstörung sollte versuchen, seinen Urin anzusäuern: Cranberry- oder Preiselbeersaft, Vitamin C (1-2g/Tag), L-Methionin
Eine Bakterurie mit geringer Keimzahl muss bei MS nicht generell behandelt werden, sondern nur bei Beschwerden.
• Keine Detrusoraktivität in der Speicherphase, physiologische Blasendrücke bei der
• Geringe Miktionsfrequenz durch ein physiologisches Blasenvolumen
• Anamese (Harndrang, Verhalt, Inkontinenz, Nykturie)
• Miktionstagebuch (Trinkmenge, Anzahl und 24h Volumen) für 1-2 Tage
• Restharn- und möglichst auch Nierensonographie
1. Detrusorhyperaktivität Häufigste Störung ist die Detrusorhyperaktivität, die mit erhöhtem Harndrang einhergeht. Beschwerden: Trias = Pollakisurie/Drang/Nykturie evtl. Inkontinenz Therapie: Anticholinergika
Harndrang/Dranginkontinenz bei geringem Restharn: (kein Triggern!)Anticholinergika:
• Darifenazin (z.B. Emselex® 7,5 + 12,5mg 1/tgl. oder
• Solifenazin (z.B. Vesikur®) 5-10mg 1xtgl. = beides Retardpräparate mit weniger NW dafür höheren Kosten
• Tolterodin (z.B. Detrusitol®) 2x2mg (weniger NW als Oxybutinin)
• Propiverin (z.B. Mictonorm®) 2-3 Tabl. 15 mg/tgl.
• Trospiumchlorid (z.B. Spasmex®) 2-3 x 2-3 Tabl. 30-45 mg
• Oxybutinin (z.B. ratiopharm®) 2-3 x 2,5-5 mg, wenn zu viele NW alternativ (aber
teurer) Verabreichung als Retardpräparat (Lyrinel Uno®) oder als Pflaster (Kentera®):
Beckenbodentraining:Wirksamkeit nur als Verhaltenstraining bei Detrusorhyperaktivität mit Drangbeschwerden oder nur als Beckenbodentraining bei Belastungsinkontinenz (Extrem selten) oder als Beckenbodenrelaxationsstraining durch Biofeedback bei DSD
Kombination mit trizykl. Antidepressivum: Cave: zentrale Nebenwirkungen; verstärken Sphinktertonus, daher bei Restharn oder DSD nicht sinnvoll Imipramin (z.B.Tofranil® 3x10-25 mg), Amitryptilin 25-75 mg (Amytryptilin, z.B. Amineurin®, Saroten®) oder Nortryptilin 2-3x10-50 mg (Nortrilen)
Wenn kein Effekt:Ziel: Kontinenz durch ISK+Blasenlähmung
• Intravesikale Infiltration mit Botulinum-A-Toxin (Cave: Restharn mit
ISK-Notwendigkeit möglich) = alle 6-9 Monate (Boberg, Kiel) Narkose nötig
• Intravesikale Oxybutyningabe: nur bei Pat., die ohnehin ISK durchführen
• Externe temporär Elektrostimulation (vaginal, rektal, sakral)
• Sakrale Neuromodulation; nur, wenn MS-Erkrankung über Jahre stabil,
sonst kontraindiziert (operativer Eingriff, Impulsgeber implantiert + externe Stimulation)
2. Detrusor-Sphincter-Dyssynergie An zweiter Stelle steht die Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (DSD), wo sich Detrusormuskel und Sphinkter gleichzeitig kontrahieren. Beschwerde; häufiger Harndrang mit verzögertem Miktionsbeginn/ Harnverhalt, wenn man dann auf der Toilette sitzt Befund: oft erhöhter Restharn
Harndrang bei erhöhtem Restharn: (Cave: kein Triggern, da Spastik verstärkend)
1. Antispastika (z.B. Baclofen®) 2. Alphablocker (Tamsulosin, Alna®, Omnic® 1Tabl./tgl.) oder Phenoxybenzamin 2-3x
3. ISK ggfls. mit Anticholinergika zur Kapazitätststeigerung (Oxybutinin® intravesikal) 4. Detrusorhyporeflexie Seltener ist eine Detrusorhyporeflexie Ohne erhöhten Restharn:
evtl. Triggern Hyporeflexie, geht nicht bei Areflexie, Miktion nach der Uhr
1. 4-5 ISK/Tag (Anleitung zu Hause, Spiegel, Labienspreizer als Hilfsmittel)
L-Methionin, Cranberries, evtl. Impfung mit Uro-
Vaxom® Langzeitantibiotikagabe (Nitrofurantoin, Trimethoprim, ggf. + Sulfometoxazol, z.B. Infekto- trimet®) für maximal 6 Monate, Cave: Lungenfibrose, Polyneuropathie
Manuelle, körperliche oder kognitive Einschränkungen, Übergewicht
Desmopressin (z.B. Desmogalen Spray® 1-2 Hübe) als Gelegenheitsmedikation und bei schwerer Nykuturie, um z.B. beim Opernbesuch seine Ruhe zu haben. Teuer. Evidenzklasse 1. Cave: Wasserintoxikation, nicht mehr als 10-20ug/Tag, Na-Monitoring im Serum
Offene Fragen:Wirkung von Fußreflexzonenmassage (1 RCT bei MS)Wann Uroflow/wann Urodynamik Uroflow bei Miktionsbeschwerden mit Restharn, ggf Uroflow mit EMG bei Verdacht auf DSD; Urodynamik bei Versagen der Primärtherapie, nicht durch Basisuntersuchung klassifizierbare Beschwerden oder bei Veränderungen des oberen harntrakts (Nierensono)
Autoren: Heesen, Schippling, Vonthien, Pauly, Elias, Schult, Rosenkrantz, Gross, Berenbeck
Letzte Aktualisierung: 29-4-06, nächste geplante Aktualisierung: Januar 2007
Algorithmus MS-Blasenstörung
<150 ml: nix oder Anticholinergika (z.B. Emselex 1x1) Restharnsono (Uroflowmetrie)
> 150 ml: Urodynamik,
Mobilitätsprobleme? andere MS-Ursache (Kognition, Fatigue, Verstopfung)? andere Gründe (BPH, Diabetes, Prolaps)?
1. Anticholinergika: 1. evtl. Triggern: 1. Antispastika: 2. Alpha-Blocker:
Phenoxybenzamin 4. ISK evtl mit Anticholinergika intravesikal
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